DER 71. HÖRSPIELPREIS DER KRIEGSBLINDEN
Diemut Roether / epd
Thu Jun 02 2022 22:00:00 GMT+0000 (Coordinated Universal Time)
In "Adolf Eichmann: Ein Hörprozess" (RBB/Deutschlandfunk) rekonstruieren Noam Brusilovsky und Ofer Waldman mithilfe von Berichten von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen das Israel der frühen 60er Jahre, in dem eine ganze Nation am Radiogerät den Prozess gegen Adolf Eichmann verfolgte. Der öffentlich-rechtliche Sender Kol Israel übertrug den Prozess damals nicht nur in Israel, sondern weltweit, so wurde er zum Medienereignis.
In dem Hörspiel ergibt sich aus Zeugenaussagen aus dem Prozess, Briefen, die Hörer damals an den Sender schrieben und Erinnerungen von Journalistinnen und Journalisten, die die Prozessberichterstattung organisierten, ein vielschichtiges Bild der israelischen Gesellschaft. So wird der Organisator der Ermordung der Juden im Nationalsozialismus, Adolf Eichmann, zur Randfigur, während der Selbstverständigungsprozess der israelischen Gesellschaft in den Mittelpunkt rückt. (...)
In "Die Arbeit an der Rolle" (SWR) von Noam Brusilovsky spricht die sogenannte Heldenbaritonistin Lucia Luca über ihre Opernrollen. Lucia Lucas wurde bis 2014 als Mann wahrgenommen, dann outete sie sich als Transgender-Frau. Sie singt aber weiterhin Männerrollen.
Anhand des Don Giovanni erklärt sie, wie sie sich auf diese Rollen vorbereitet, was Männlichkeit in der Oper und im Leben ausmacht. So ergibt sich ein interessanter Blick auf Männer und Frauenbilder. Brusilovsky und Lucas geben zusätzlich einen Einblick in die Rollenspiele des Online-Games "World of Warcraft", wo es auch um Identitätsbildung geht.
Der Regisseur Brusilovsky, der als erster Hörspielmacher mit zwei Produktionen für einen Hörspielpreis der Kriegsblinden nominiert war, fächert in diesem Hörspiel spielerisch das Thema Diversität auf. Die Stimme von Lucia Lucas wird hier nicht nur zum perfekten Transportmedium für die Arien, die sie singt, sondern auch für das wichtige Thema Ich-INerdung. Die Jury überzeugte dieser lässige, positive Zugang. Der 71. Hörspielpreis der Kriegsblinden ging daher an Noam Brusilovsky und Lucia Lucas für diese sehr persönliche und zugleich sehr künstlerische Produktion.